Wird Fleisch aus dem Labor die Ernährung der Zukunft?

Artikel von Tommy Weber am 7. Juni 2022 um 15:50 Uhr im Forum Essen & Trinken - Kategorie: Wissenschaft

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Wird Fleisch aus dem Labor die Ernährung der Zukunft?

7. Juni 2022     Kategorie: Wissenschaft
Fleisch, ja oder nein? Daran scheiden sich immer mehr die Geister. Die Zahl der Vegetarier und Veganer steigt und diejenigen, die noch Fleisch essen, sehen sich immer mehr in die Defensive gedrängt. Dabei kann die Zukunft ganz anders aussehen, und zwar mit, aber trotzdem ohne Fleisch. Was jetzt vielleicht noch verwirrend klingt, kann ein Modell werden, mit dem alle leben können. Das Zauberwort heißt: Laborfleisch. In der Branche, die dieses besondere Fleisch herstellt, herrscht aktuell so etwas wie Goldgräberstimmung.

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Die neuen Lebensmittel
Immer mehr Unternehmen arbeiten an sogenannten neuartigen Lebensmitteln und setzen auf die zelluläre Landwirtschaft aus dem Labor. Sie soll jetzt für die kommerzielle Herstellung bereitstehen, und zwar nicht nur als Alternative zum echten Fleisch, sondern auch, um die Welternährung in der nahen Zukunft zu verbessern. Was vor einigen Jahren noch als Science-Fiction galt, ist jetzt schon zum Greifen nah. Sind alternative Nahrungsquellen tatsächlich die Rettung für viele Menschen?

Was ist eigentlich zelluläre Landwirtschaft? Dabei handelt es sich um tierische und pflanzliche Produkte, die aus einer Zellkultur entstehen. Genauer gesagt: Eine einzige Zelle wird in einem sogenannten Nährmedium auch außerhalb des Organismus kultiviert. So lässt sich beispielsweise Fleisch produzieren, ohne dass vorher Tiere gehalten und später geschlachtet werden müssen.

Der Burger kommt aus dem Labor
Was für dieses neue Fleisch benötigt wird, sind lediglich tierische Stammzellen, die in einen „Bio-Reaktor“ mit einer Nährlösung gegeben werden. Dort sollen sie sich dann immer wieder teilen und vermehren. Im Prinzip lässt sich das Ganze mit einer künstlichen Befruchtung in der Petrischale vergleichen, eine Zeugung außerhalb des Mutterleibs. Im „Bio-Reaktor“ entsteht jedoch eine Masse, die später in weiteren, sehr komplexen Prozessen raffiniert und danach in die gewünschte Form gebracht wird.

Bereits 2013 gab es ähnliche Experimente, als Wissenschaftler im Labor haben Rindfleisch wachsen lassen. Das Ganze wurde dann aufmerksamkeitswirksam in die populäre Form eines Burgers gebracht und auch verkostet. Allerdings kostete dieser besondere Burger 300.000 Dollar. Jetzt scheint es, dass die Zeit gekommen ist, die Burger aus dem Labor massentauglich zu machen.

Ernährung muss erschwinglich sein
Immer mehr Menschen wird klar, dass in Bezug auf die Ernährung neue Mittel und Wege gefunden werden müssen. Nahrungsmittel sollten immer erschwinglich und vor allem für alle verfügbar sein. Forscher halten dies sogar noch in diesem Jahrzehnt für durchaus möglich. Im Zeitraum von diesen acht Jahren soll das Fleisch aus dem Labor in jedem Supermarkt zu finden sein. Natürlich bleibt es auch in der Zukunft dem Kunden selbst überlassen, ob er den klassischen oder den alternativen Lebensmitteln den Vorzug gibt.

Weltweit arbeiten immer mehr Unternehmen am Thema Fisch und Fleisch aus dem Labor. Die Auswahl reicht vom jungen Start-up bis hin zu international bekannten Konzernen aus der Lebensmittel- und Fleischindustrie. Daher ist das Tempo, in dem gearbeitet wird, im Moment auch so hoch.

Die Hürden sind beträchtlich
Die Hersteller wissen, dass die Hürden für ihre ehrgeizigen Produkte sehr hoch sind. Damit sie ihre Innovationen in der Zukunft verkaufen dürfen, müssen die Produzenten nicht nur die Verträglichkeit, sondern zudem die Sicherheit der einzelnen Produkte immer nach wissenschaftlichen Standards nachweisen können. Die gesetzlichen Vorschriften sind sehr streng und das rund um den Globus. „Novel Food“ nennen sich die neuartigen Lebensmittel, mit denen sich auch die EU jetzt beschäftigen muss.

Der erste Streit ist bereits vorprogrammiert, denn es ist noch nicht klar, ob das neuartige Fleisch an der Theke überhaupt als „Fleisch“ angeboten werden darf. Viele Wissenschaftler sind dafür, denn schließlich ist die Zelle, aus der das neue Fleisch entstanden ist, von tierischer Herkunft.

Das Verhalten ändert sich
Die Unternehmen, die sich mit der Herstellung von Lebensmitteln der neuen Generation beschäftigen, können sich über mangelnde Aufträge nicht beklagen. Obwohl die Konkurrenz stetig wächst, werden die Umsätze bis 2026 im dreistelligen Millionenbereich liegen. New Food ist zwar noch ein relativ neuer Bereich, der jedoch schon eine eigene Geschäftseinheit bildet. Möglich wird dies, weil sich das Verhalten der Verbraucher in den vergangenen Jahren immer mehr verändert hat. Das Wohl der Tiere und die Auswirkungen einer rücksichtslosen Landwirtschaft für die Umwelt haben viele Menschen zum Umdenken gebracht. Diese Themen rücken jetzt immer mehr in den Fokus und die Nachfrage nach Lebensmitteln, die viele Proteine enthalten, ist inzwischen überdurchschnittlich groß geworden.

Die Menschen werden offener für solche Dinge, sie haben weniger Angst vor den Technologien, die die Herstellung von Lebensmitteln und Lebensmittelbestandteilen im Labor ermöglichen. Vielleicht liegt es auch daran, dass viele dieser neuen Technologien auf eine pflanzliche oder eine mikrobielle Basis zurückgreifen, was das Verstehen deutlich einfacher macht.

Die Zukunft hat schon begonnen
In Norwegen hat die Zukunft der neuen Lebensmittel bereits begonnen, und zwar in der Form von Krill. Dabei handelt es sich um kleine Krebse, die in der Antarktis gefangen werden und aus denen später INVI hergestellt wird. Dieses Produkt ist ein hoch konzentriertes Protein, was nahrungsmittelsicher und in Lebensmitteln sowie in Getränken zu finden ist. Inzwischen gibt es Anlagen, die eine Kapazität von mehr als 120 Tonnen pro Jahr erreichen. Sie sind der erste wichtige Schritt zur Kommerzialisierung eines Proteinpulvers aus Krill-Basis. Hier liegt das Auftragsvolumen heute schon im zweistelligen Millionenbereich.

Dänemark lässt in den USA eine Fabrik ausstatten, die sich mit Hefe-Zellen beschäftigt, aus denen man sogenannte Hämproteine herstellen kann. Sie gelten als eine Art pflanzlicher Ersatz für Fleisch, da sie das gleiche Aussehen und einen identischen Geschmack haben.

Die Politik will die neue Ernährung stärken
Die zelluläre Landwirtschaft ist schon heute ein großes Thema, an dem auch die Politik nicht mehr vorbeikommt. Soll die Ernährungswende wirklich kommen, dann braucht es nicht nur die Forschung und die Verbraucher, sondern besonders die Hilfe aus der Politik. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich nach eigenen Angaben bereits umfangreich informiert. Sein Fazit lautet: Das Thema neue Ernährung hat noch immer etwas von Science-Fiction, ist aber mehr Wissenschaft als Fiktion. Er sieht Innovationen, von denen sich viele erhoffen, dass sie das Leben aller Menschen vereinfachen und vor allem in eine nachhaltige Zukunft führen werden.

Der Minister hat sich der Transformation des Ernährungssystems verschrieben. Dies betrifft vor allem die Art und Weise, wie Flächen optimal genutzt werden können, um nur das anzubauen, was wirklich gegessen wird.

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